Lasst Flechten leben!

Merkwürdige Flecken auf dem Gehweg, dem Stein im Garten oder dem Dach, graue oder gelbliche Gebilde an Bäumen und auf Zaunpfählen. Gesehen hat sie wohl jeder schon mal und sich dabei gefragt, was das eigentlich ist. Die einfache Antwort lautet: Flechten.

 

Was sind Flechten?

Flechten sind keine Pflanzen, sondern ein Zusammenschluß zwischen einer Alge und einem Pilz. Der Pilz schützt die Alge vor starker Sonneneinstrahlung und versorgt sie mit Mineralstoffen. Die Alge versorgt den Pilz im Gegenzug mit Produkten aus der Photosynthese. Was zunächst wie eine win-win-Situation klingt, ist allerdings eher für den Pilz von Vorteil. Er hält die Alge an der kurzen Leine, d. h. er kontrolliert ihr Wachstum. Auch wenn die Alge natürlich auch vom Pilz profitiert (sie kann zusammen mit dem Pilz Standorte besiedeln, wo sie alleine nicht wachsen könnte), ist sie trotzdem eher das "Arbeitstier" in der Beziehung und muss beide, also den Pilz und sich selbst versorgen. Deshalb wird das Zusammenleben von Pilz und Alge von manchen Forschern nicht so gerne als Symbiose bezeichnet, sondern eher als eine Form von Parasitismus.

 

Flechten können sehr gut in lebensfeindlichen Umgebungen zurecht kommen. Manche Flechten leben auf Hausdächern, wo die Temperaturen tagsüber in voller Sonne ungemütlich hoch werden können. Sowas macht der Flechte aber nichts. Auch Trockenheit kann ihr nichts anhaben. Solche Phasen übersteht sie, indem sie fast vollständig austrocknet. Der Stoffwechsel kommt zum Erliegen. Sobald auch nur etwas Feuchtigkeit auftritt, wird sie aufgesaugt, der Stoffwechsel läuft wieder an und die Flechte wächst weiter. 

Flechten sind aber auch mit die ersten, die nacktes Gestein besiedeln. Zwischen den Flechtenkörpern lagert sich nach und nach Bodenkrume an, das wiederum hilft, den Weg zur Besiedlung mit höheren Pflanzen zu ebnen. Als ich 1998 auf dem Vesuv war, konnte man sehen, dass der Lavastrom von 1944 stellenweise dicht mit der silbrigen Lava-Flechte (Stereocaulon vesuvianum) bewachsen war. Das Foto rechts zeigt den Lavastrom von 1944 im Jahr 2011, leider etwas weiter unten, wo man die Flechten nur stellenweise sieht (das Foto von 1998 ist noch ein Dia und damit schwer mal eben zu digitalisieren (weiß heute noch jemand, was ein Dia ist?) ;-)

Eile mit Weile

Ihr Lebensweise ist der Grund, warum Flechten nicht die Schnellsten sind, wenn es ums Wachsen geht. Manche Arten wachsen nur wenige Millimeter pro Jahr. Dafür sind sie eben enorm widerstandsfähig. Nur eins mögen viele Flechtenarten gar nicht: Luftverschmutzung. Da sie Feuchtigkeit quasi direkt und ungefiltert über den Flechtenkörper (Thallus) aufnehmen, statt über Wurzeln, die sie ja nicht besitzen, bekommen sie auch die volle Ladung Dreck mitgeliefert. Das hat dazu geführt, dass im 19. und 20. Jahrhundert in der Umgebung von Städten und Industrieanlagen die Flechten massiv zurückgegangen sind, hauptsächlich durch den Anstoß von Schwefeldioxid (SO2). Heute ist die Lage wieder etwas besser, da mehr für die Reinhaltung der Luft getan wird. Trotzdem sind sehr viele Flechtenarten gefährdet.

Es gibt aber auch Ausnahmen: Zum Beispiel die häufige Schwielenflechte (Physcia tenella, die "grauen Eminenzen" auf dem Foto links) kommt auch mit schlechterer Luft zurecht. Und auch die Lava-Flechte hat keine Probleme mit SO2, sonst würde sie nicht auf Vulkanen wachsen ;-)

Krustenflechten, die auf Baumrinde, aber auch auf Gehwegen und Steinen wachsen, werden gerne mal für festgetretenes Kaugummi gehalten. Spätestens beim Entfernungsversuch stellt man dann fest, dass den kleinen Geschöpfen nicht mal eben mit dem Besen beizukommen ist. Diese Jungs sind nämlich die ganz Harten, denen auch das Drüberfahren mit einem Auto nichts ausmacht. Statt sich also stundenlang mit dem Schrubben der Gehwege zu befassen, solltest Du sie lieber sitzen lassen. Sie schaden nicht, im Gegenteil! Auch Flechten binden CO2 und schützen das Gestein zusätzlich noch vor Verwitterung. Außerdem sieht es doch ganz hübsch aus, so ein Mosaik auf dem Weg. Ist jedenfalls besser als graue Betonwüste ;-)

 

Eine häufige Art ist die Mauerflechte (Lecanora muralis), hier an Pflasterstein.

Laub- oder Blattflechten findet man oft auf Bäumen und Zaunpfählen. Flechten besiedeln gerne ältere Bäume mit grober Borke wie alte Eichen, Eschen, aber auch Apfelbäume oder Holunder. Sie schaden den Bäumen übrigens nicht. Sie haben keine Wurzeln, mit denen sie den Baum "aussaugen", sondern lediglich Haftorgane, mit denen sie sich in der Rinde verankern. Die einzige Einschränkung: Wenn alte, stark mit Flechten bewachsene Obstbäume Probleme mit Schädlingen haben, kann es sein, dass der Nachwuchs dieser Tierchen im Flechtenbewuchs überwintert. Dann kann man lose Borkestückchen mit den Flechten vorsichtig entfernen. Bei wuchsschwachen Sträuchern und Bäumen, deren Knospen von Flechten überwachsen werden, kann ein Rückschnitt sinnvoll sein.

 

Die Gewöhnliche Gelbflechte (Xanthoria parietina, links) ist recht unempfindlich und siedelt sich mit Vorliebe auf nährstoffreichem Untergrund an (Baumrinde, Steine). Sie ist aufgrund des permanenten Stickstoffeintrags über die Luft sehr häufig geworden, schlechte Luft hin oder her.

Strauchflechten findet man nicht ganz so häufig, da viele Arten anfälliger für Luftschadstoffe sind. Relativ bekannte Strauchflechten wie die Rentierflechten (verschiedene Cladonia-Arten, zum Beispiel Cladonia rangiferina) wachsen auf sandigen, trockenen Böden in der Heide oder auf Dünen wie hier auf dem Foto. Solche Flächen sind über die FFH-Richtlinie besonders geschützt.

 

Das bekannte "Isländisch Moos" (Cetraria islandica) ist im Übrigen kein Moos, sondern ebenfalls eine Strauchflechte. 

Die Bartflechten oder Baumbärte (Usnea) gehören zu den Strauchflechten und wachsen in Gebieten mit hoher Luftfeuchtigkeit. Daher sind sie auch besonders anfällig für Luftverschmutzung und eher selten. Diese auf dem Foto wachsen im Wallis auf etwa 2000 m Höhe (der Steinbock ist übrigens echt ;-).

Becherflechten (auch aus der Gattung Cladonia) sind wohl die skurrilsten Flechtenarten. Ihre Becher (Podetien) sind die Halter für die rötlichen oder bräunlichen Fruchtkörper (Apothecien).

Noch eine Anmerkung zu den Arten: Da ich kein Lichenologe (Flechtenkundler) bin und nur eine rudimentäre Artenkenntnis habe, kann es sein, dass die eine oder andere Art nicht ganz korrekt bestimmt ist. Es wurde nach bestem Wissen und Gewissen gemacht ;-)

Wichtig! Bitte beachten!

 

Ich bin weder Ärztin noch Heilpraktikerin noch Apothekerin. Die in einigen Artikeln beschriebenen Wirkungen von Pflanzen haben lediglich informativen Charakter und beruhen auf dem Wissen aus meiner akademischen Ausbildung als Botanikerin sowie auf eigenen Erfahrungen. Alle Angaben wurden nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Ich übernehme keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben. Es wird ebenso keine Haftung für eventuelle Schäden durch die unsachgemäße Verwendung von Pflanzen und deren Zubereitungen übernommen.

 

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